Hans Jörg Staehle


(Poliklinik für Zahnerhaltungskunde (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Hans Jörg Staehle) der Mund- Zahn- und Kieferklinik des Universitätsklinikums Heidelberg)


Unverträglichkeit gegenüber Dentalmaterialien


Bei Verdacht ist interdisziplinäre Abstimmung erforderlich


Zusammenfassung


Besteht der Verdacht auf Unverträglichkeiten gegenüber Dentalmaterialien, empfiehlt sich eine interdisziplinäre Abklärung, die unter anderem zahnärztliche, psychosomatische, allergologische und toxikologische Aspekte einbezieht. Zurückhaltung ist bei der Anwendung umstrittener Testmethoden aus dem Bereich der Komplementärmedizin geboten. Auf einer solchen Grundlage werden gelegentlich intakte zahnärztliche Restaurationen ausgetauscht, Zähne extrahiert oder gar Kieferknochen zur vermeintlichen „Entgiftung ausgefräst. Dies kann erhebliche Gebissdestruktionen zur Folge haben. Aus Gründen des Patientenschutzes sollten die negativen Folgen solch invasiver Methoden bei der Aufklärung und Beratung Betroffener größere Beachtung als bisher finden.

Schlüsselwörter: Dentalmaterial, somatoforme Störung, Komplementärmedizin, Amalgam


Summary


Adverse Reactions Towards Dental Materials Suspicion of an adverse reaction towards dental materials requires a multidisciplinary approach for accurate diagnosis. Dental, psychosomatik, allergenic and toxicological aspects must be included in the diagnosis. The use of non-scientific, "para-medical" diagnostic tests alone may lead to unnecessary replacement of restorations, tooth extractions or surgical removal of alveolar bone for so-called "detoxification". Significant destruc-tion of oral tissues and impairment of oral health may occur. Therefore, invasive treatment procedures must be based on scientific methods and patients must be informed of and consent to the health risks of non-scientific diagnostic methods and treatment options.


Key words: dental material, complementary medicine, amalgam


Die Einschätzung der gesundheitlichen Verträglichkeit zahnärztlicher Materialien wurde in den letzten Jahren vielfach kontrovers diskutiert. Da diese Diskussionen zu einem großen Teil in den Massenmedien erfolgten, hatte dies eine erhebliche und bis heute anhaltende Verunsicherung der Bevölkerung zur Folge. Verängstigte Menschen ließen mitunter überstürzt zahnärztliche Eingriffe vornehmen. Auf einer nicht selten umstrittenen diagnostischen Grundlage wurden intakte zahnärztliche Restaurationen entfernt, erhaltungswürdige Zähne extrahiert oder gar Kieferknochen zur vermeintlichen „Entgiftung" ausgefräst. In manchen Fällen führte dies zu gravierenden Folgeschäden bis hin zu ausgeprägten Gebissverstümmelungen. Obwohl nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand das Risiko einer Gesundheitsschädigung durch zahnärztliche Materialien als außerordentlich gering einzustufen ist
(weit unter einem Prozent),
vertreten eigenen Erhebungen zufolge inzwischen etwa 25 Prozent der Bevölkerung die Auffassung, durch Dentalmaterialien wie zum Beispiel Amalgam ausgeprägte Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten zu haben. Weitere 40 Prozent der Bevölkerung befürchten zumindest eine geringe Schädigung und nur noch eine Minderheit von unter 40 Prozent glaubt, durch Dentalmaterialien gesundheitlich nicht beeinträchtigt zu werden (4). Während bislang noch das Füllungsmaterial Amalgam im Vordergrund der Befürchtungen steht, gibt es Indizien dafür, dass künftig vermehrt zahnärztliche Materialien auf Kunststoffbasis in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses treten werden. Die Materialdiskussion führt zu entsprechenden Nachfragen von Patienten bei Ärzten und Zahnärzten. Im Folgenden wird ein interdisziplinäres Vorgehen aufgezeigt, das bei Verdacht auf Vorliegen einer Unverträglichkeit gegenüber Dentalmaterialien beschritten werden kann.


Risiken und Nebenwirkungen durch Dentalmaterialien


Im Zusammenhang mit Dentalmaterialien werden unter anderem folgende Effekte diskutiert: Allergien, lichenoide Reaktionen, elektrochemische Reaktionen, ästhetische Beeinträchigungen und toxische Belastungen.

Gegenüber sämtlichen gebräuchlichen dentalen Restaurationsmaterialien wie Amalgamen, Komposit-Kunststoffen oder Gussmetallen kann es zu allergischen Reaktionen kommen (19, 20). Dabei stehen Typ-4-Allergien gegenüber extrem seltenen Sofortreaktionen (Typ-1-Allergien) im Vordergrund.

Bei oralen lichenoiden Läsionen (14) handelt es sich um zum Teil reizlose, zum Teil aber auch um schmerzhafte, nicht-erosive oder erosive Veränderungen der Mundschleimhaut, die in topographischer Beziehung zu zahnärztlichen Restaurationen aus Amalgamen, Kompositen oder Gussmetallen stehen können.

Elektrochemische Reaktionen können auftreten, wenn ein elektrisch wirksamer Kontakt von verschiedenen Metallen in der Mundhöhle entsteht. Sie können klinisch mit Verfärbungen von Metalloberflächen, unangenehmen Geschmackssensationen oder „elektrischen" Missempfindungen einhergehen (48,49).


Beim unsachgemäßen Herausschleifen von metallischen Restaurationen kann es zur ästhetisch störenden Inkorporation von einzelnen Metallpartikeln in die Mundschleimhaut in Form so genannter Metallimprägnierungen kommen. Die durch Partikeleinlagerung entstandenen Pigmentflecken sind in aller Regel reizlos (48, 49). Gesundheitliche Gefahren entstehen dadurch nicht.

Toxische Belastungen des Organismus werden zurzeit hauptsächlich durch Amalgame, seltener durch Gussmetalle oder Komposite diskutiert. Obwohl Amalgamträger eine höhere Quecksilberbelastung als amalgamfreie Personen bei ansonsten gleicher Quecksilberexposition aufweisen, konnte ein abgrenzbares Krankheitsbild einer durch Amalgam verursachten chronischen Quecksilbervergiftung nach aktuellem Wissensstand beim Menschen bislang mit allgemein anerkannten Methoden nicht nachgewiesen werden (1,2,5,7,9,11,12,17,22,29,30,31,32,33,34,37,38, 39,41,42,46,47,52,53).


Diagnostische Maßnahmen

Die Beschwerden, die mit einer Unverträglichkeit gegenüber Dentalmaterialien assoziiert werden, sind sehr vielfältig. Es bietet sich an, zwischen objektivierbaren Symptomen (zum Beispiel Mundschleimhautveränderungen) und subjektiven Angaben (zum Beispiel Mundbrennen) zu differenzieren.


Anamnese und ärztliches Gespräch

Patienten, die Erkrankungen auf zahnärztliche Werkstoffe zurückführen, sind in der Regel bereits seit Jahren mit verschiedensten Materialien wie Komposit-Kunststoffen (meist auf Acrylat-Basis), Gussmetallen oder Amalgamen versorgt. Ein klarer topographischer

und/oder zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Beschwerden und dem Einsatz eines bestimmten Materials oder einer Materialkombination ist nur selten herzustellen. Trotzdem ist es empfehlenswert, die Arten und Zeitpunkte der zurückliegenden zahnärztlichen Versorgungen und das erstmalige Auftreten sowie die Lokalisation von Krankheitssymptomen zu dokumentieren. Dabei sollte auch nach sonstigen lebensgeschichtlichen Begleitumständen (zum Beispiel psychosozialen Belastungssituationen) gefragt werden. Bei einem Teil von Patienten, die Beschwerden mit zahnärztlichen Materialien in Verbindung bringen, liegt ein Alkohol- oder Medikamentenabusus vor. Zuweilen lassen sich die von den Patienten geäußerten Beschwerden auch als Symptome bisher nicht diagnostizierter Allgemeinerkrankungen oder als Nebenwirkungen eingenommener Medikamente entlarven. Auch diesem Umstand sollte die Anamnese Rechnung tragen. Eine vorschnelle Spekulation über Unverträglichkeiten gegenüber Dentalmaterialien kann in solchen Fäl-len nicht nur zu unnötigen zahnärztlichen Eingriffen führen, sondern die Erkennung beziehungsweise Behandlung der tatsächlichen Erkrankungsursache verhindern oder verzögern.


Zahnärztliche Befunderhebung

Je nach spezifischem Beschwerdebild können neben zahnärztlichen Untersuchungen unter anderem internistische, HNO-ärztliche, neurologische, psychiatrische / psychosomatische, dermatologische und toxikologische Abklärungen angebracht sein. Im Folgenden werden einige wichtige zahnärztliche Aspekte aufgezeigt und in einen Zusammenhang mit psychiatrisch / psychosomatischen, allergologischen und toxikologischen Untersuchungen gestellt.



Beispiel für Vereinbarungen auf regionaler Basis zum Patientenschutz vor umstrittenen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen:





Vorschläge der Ambulanz für Naturheilkunde der Carstens-Stiftung (Leiterin: Frau Prof. Dr. Ingrid Gerhard) der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen der Heidelberger Universitäts-Frauenklinik und der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Hans Jörg Staehle) der Heidelberger Universitäts-Mund-, Zahn- und Kieferklinik zum Vorgehen bei der diagnostischen Abklärung von befürchteten Unverträglichkeiten gegenüber Dentalmaterialien. Mit diesen Vereinbarungen sollen aktuelle Standards aufgezeigt werden, die als konsensfähiger Ausgangspunkt bei der Erörterung offener Fragen fungieren können. Sie sollen aber auch als Rahmen dienen, wenn es um Gutachten, Atteste oder sonstige Äußerungen gegenüber verschiedenen Institutionen (Ärzte-/Zahnärzteschaft, Kostenträgern, Gesundheitsbehörden ...)







Abbildung 1 a:

Klinischer Gebisszustand einer seit vielen Jahren zahnärztlich weitgehend problemlos versorgten Patientin. Die prothetische Versorgung weist hinsichtlich der Randgestaltung und der Ästhetik einzelner Überkronungen kleinere Mängel auf, die die Patientin allerdings kaum störten.








Die zahnärztliche Untersuchung umfasst unter anderem die Inspektion der Mundhöhle sowie die Befundung der kariologischen, restaurativen, endodontischen, parodontalen und funktionellen Situation.

Bei der Befunderhebung der Mundschleimhaut wird überprüft, ob eine geringe Befeuchtung, Entzündungen, Erosionen, lichenoide Veränderungen, Metallimprägnierungen oder sonstige objektivierbaren Symptome vorliegen. Störungen der Quantität und/oder Qualität des Speichels können zum einen das Oberflächenverhalten von Zahnhartsubstanzen und zahnärztlichen Materialien beeinflussen, zum anderen kommt dem Symptom „Mundtrockenheit" differenzialdiagnostische Bedeutung beim Abklären von Beschwerden zu (zum Beispiel Nebenwirkung von Medikamenten). Die Fließrate des Speichels kann auf sehr einfache Weise ermittelt werden kann. Man sollte diesen Befund bei geringer Befeuchtung der Schleimhäute routinemäßig erheben. Objektivierbare Befunde an der Mundschleimhaut sollten nach Möglichkeit fotografisch dokumentiert werden.

Die Zahnhartsubstanzen werden unter anderem hinsichtlich ihres Hygienezustands und Kariesbefalls begutachtet. Daneben werden Zahnhartsubstanzschäden nichtkariogener Ursache wie zum Beispiel Säure-Erosionen (Nahrungseinflüsse?) und Abrasionen (Parafunktionen?) erfasst. Bezüglich der zahnärztlichen Restaurationen ist besonderes Augenmerk auf den Zustand der Oberfläche (ungewöhnliche Korrosionserscheinungen mit objektivierbaren lokalen Gewebsdestruktionen?) und die den Restaurationen benachbarten Gewebe zu richten. Überstehende, schlecht polierte oder unsachgemäß gestaltete Restaurationen können zu lokalen Irritationen führen oder Ansammlungen mikrobieller Plaque begünstigen. Erosive und mechanische Einflüsse (Abrasionen) können die Freisetzung von Inhaltsstoffen aus Dentalmaterialien begünstigen, insbesondere wenn gleichzeitig eine mangelnde Mundhygiene und eine eingeschränkte Schutzfunktion des Speichels vorliegen.

Bei der endodontischen Befunderhebung muss beachtet werden, dass akute oder chronische Pulpopathien verschiedene Beschwerdebilder auslösen können, die unter Umständen einer differenzialdiagnostischen Abklärung (zum Beispiel mit dem HNO-Bereich) bedürfen.

Auf eine Parodontaldiagnostik, die unter anderem die Bestimmung der Sondierungstiefen und die Beurteilung der Sondierungsblutung mit einschließt, sollte in keinem Fall verzichtet werden. Klinisch relevante Korrosionsprozesse können in Spaltbereichen (Metallstifte / Zahnhartsubstanzen, Grenzflächen Keramik/Legierung, Gingivasulkus) auftreten. Bei parodontalen Erkrankungen, die nicht in einen direkten Zusammenhang mit einer mangelnden Plaquekontrolle gebracht werden können, die sich jedoch lokal auf den Bereich von - ansonsten unauffälligen - Metallrestaurationen konzentrieren, sollte an derartige Korrosionseffekte gedacht werden.


Gebissfunktionsstörungen können Ursachen für unklare Beschwerden darstellen. Die zahnärztliche Untersuchung sollte deshalb auch eine klinische Funktionsanalyse umfassen, die unter anderem überprüft, ob Druckdolenzen in der Muskulatur oder im Gelenkbereich, Gelenkgeräusche, myofunktionelle Störungen, Bewegungsstörungen des Unterkiefers und Besonderheiten an den Zähnen wie zum Beispiel unsachgemäß gestaltete Kauflächen an Restaurationen, Schliff-Facetten oder Kippungen vorliegen. Funktionsstörungen können zu Kopfschmerzen, Verspannungen und Verkrampfungen im Nackenbereich beziehungsweise der Wirbelsäule und anderen Symptomen führen.









Abbildung 1 b: Ursprüngliche Situation im Röntgenübersichtsbild.











Psychosomatische und psychiatrische Untersuchungen


Falls bei unklaren Krankheitssymptomen eine psychische Erkrankung (zum Beispiel eine somatoforme Störung) in die differenzialdiagnostischen Überlegungen mit einbezogen wird, sollte eine entsprechende Vorstellung bei einem Spezialisten erwogen werden (26,28,35, 36, 46). Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung weist Erkrankungen mit psychosomatischen Zusammenhängen auf, die durch Sensationsmeldungen in den Medien, aber auch zum Teil durch Ärzte und Zahnärzte, die Krankheiten ohne hinreichende wissenschaftliche Begründung vorschnell auf Dentalmaterialien zurückführen, verstärkt werden können (Nocebo-Effekte). Es wurden in diesem Zusammenhang iatrogene (das heißt durch den Arzt selbst herbeigeführte) Angstzustände gegenüber zahnärztlichen Werkstoffen beschrieben (21). Unspezifische Krankheitssymptome als Ausdruck einer psychogenen Störung können sowohl in der Mundhöhle selbst vorkommen (Zungenbrennen, Mundbrennen, Fremdkörpergeschmack, Kloßgefühl, Gefühl der Mundtrockenheit, Würgereiz) als auch generalisiert in Erscheinung treten (chronische Müdigkeit, Erschöpfungszustände, Schwindelgefühl, Übelkeit und vieles mehr). Auch in ihrer Ätiologie unklare Krankheiten wie „atypischer Gesichtsschmerz" (15) oder „Multiple Chemical Sensitivity" (10) sind an dieser Stelle anzuführen.


Um Anhaltspunkte für zeitlich variable Befindlichkeitsbeeinträchtigungen einerseits und zeitlich überdauernde Persönlichkeitsstrukturen anderseits zu erhalten, bietet sich auch die Durchführung psychodiagnostischer Testverfahren an, wobei der Patient mittels eines Fragebogens seine Befindlichkeit in differenzierter Abstufung selbst charakterisiert, zum Beispiel anhand einer Symptom-Checkliste (4,18).


Allergologische Untersuchungen

Aus dermatologischer Sicht steht neben der Abklärung eines oralen Lichen planus die Allergiediagnostik im Vordergrund. Zur Allergiediagnostik gilt ein korrekt durchgeführter und ausgewerteter Epikutantest (Patchtest) als Mittel der ersten Wahl (19).

Der so genannte Lymphozytentransformationstest (LTT) ist hingegen im Zusammenhang mit der Beurteilung von zahnärztlichen Restaurationen umstritten (13), Die Allergiediagnostik sollte auf der Grundlage der Empfehlungen der Deutschen Kontaktallergiegruppe der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft erfolgen (19,20). Danach sind „prophylaktische" Testungen ohne klinisch objektivierbare Befunde nicht angebracht. Nur wenn klinische Hinweise auf allergische Reaktionen (zum Beispiel plaqueunabhängige Rötungen, Schwellungen unklarer Genese) bestehen, ist die Veranlassung wissenschaftlich anerkannter dermatologischer Untersuchungen indiziert. Dabei werden die zu untersuchenden Substanzen mit speziellen Testpflastern auf der Rückenhaut platziert und nach einer zuvor genau definierten Expositionszeit wieder entfernt.








Abbildung 1 c:

Auswahl vielfältiger inkorporierter und wieder herausgenom-mener metallischer und nicht-metallischer Zahnersatzteile. Die Entfernung erfolgte auf Grund diverser „bioenerge-tischer" Testergebnisse, wonach ein aufgetretenes Mund-brennen der Patientin auf eine Unverträglichkeit gegenüber Dentalmaterialien zurückgeführt wurde.





Die eventuell auftretenden Hautreaktionen werden beurteilt. Die Kontaktallergiegruppe der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft hat darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit der Fragestellung einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch zahnärztliche Materialien häufig unnötige und/oder unqualifizierte Hauttestungen durchgeführt werden. Es wird betont, dass die Testungen nur von erfahrenen, dermatologisch versierten Allergologen durchgeführt werden dürfen. Nach Angaben der Kontaktallergiegruppe beträgt bei einem korrekt durchgeführten Epikutantest die Expositionszeit der zu untersuchenden Substanzen 24 oder 48 Stunden. Danach müssen die Testsubstanzen entfernt werden. Die Spätablesungen erfolgen mindestens 72 Stunden nach der Erstexposition.


Bei einer positiven Reaktion werden drei mögliche Folgerungen beschrieben:




Toxikologische Untersuchungen


Toxikologische Abklärungen stehen meist im Zusammenhang mit der Frage einer Quecksilberbelastung durch Amalgamfüllungen. Grundlegende Aspekte zur Beurteilung einer toxikologischen Belastung wurden durch eine Stellungnahme der Beratungskommission Toxikologie der Deutschen Gesellschaft für Pharmakologie und Toxikologie zur Toxizität von Zahnfüllungen aus Amalgam aufgezeigt (6).







Abbildung 1 d; Zustand nach umfang­reichen, komplementär-medizinisch motivierten, zahn-ärztlich hingegen nicht nachvollziehbaren Extraktionen vitaler Zähne (Röntgenübersichtsbild).










Hinsichtlich der toxikologischen Diagnostik stehen folgende Verfahren in der aktuellen Diskussion:



Bei der Durchführung standardisierter Urintests sollten zur Bestimmung einer Quecksilberbelastung vorzugsweise Urinanalysen (ohne vorherige Quecksilbermobilisation) in Form von 24-Stunden-Urin oder Morgenurin mit Kreatininbezug vorgenommen werden (40, 50, 51).


Da die Quecksilberanalytik fehleranfällig ist, sollten zur Gewährleistung der Reliabilität nur Messdaten von solchen Laboratorien herangezogen werden, die regelmäßig an den vorgeschriebenen Ringversuchen zur Qualitätskontrolle teilnehmen. Die Messwerte liegen im Durchschnitt bei 1 µg/1 beziehungsweise 1 µg/g Kreatinin. Die obere Normgrenze von 5 µg/l beziehungsweise 5 µg/g Kreatinin wird nur in wenigen Ausnahmefällen überschritten (40).


Neben diesen allgemein anerkannten Untersuchungen werden in letzter Zeit auch umstrittene „Amalgamtests" durchgeführt, von denen insbesondere die so genannten Mobilisationstests und Speicheltests (Kaugummitests) eine kontroverse Diskussion erfahren.


Mobilisationstests durch Gabe von Komplexbildnern wie Dimerkaptopropansulfonsäure (DMPS) oder Dimerkaptobernsteinsäure (DMSA) gelten für die Routinediagnostik im Zusammenhang mit Amalgamfüllungen wegen des Fehlens allgemein anerkannter Referenz- und Grenzwerte als wenig geeignet (16). Sie sind nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand toxikologisch nicht validiert und deshalb nicht hinreichend bewertbar. Ein diagnostischer und/oder therapeutischer Wert im Zusammenhang mit der Erfassung einer Quecksilberbelastung durch Amalgamfüllungen ist nicht belegt (24,25). Die häufig geübte Praxis, beim DMPS-Test Quecksilberkonzentrationen im Spontanurin einmalig auszuwerten, ist für eine bilanzmäßige Beurteilung der Belastung sinnlos, ebenso sind die auf Laborzetteln häufig vorgedruckten „Grenzwerte nach DMPS" nicht toxikologisch abgeleitet (23).


Die Speicheltests (Kaugummitests) erfassen lediglich die Quecksilberfreisetzung aus Amalgam ohne den resorbierten Anteil zu ermitteln, was diese Verfahren entscheidend limitiert. Speichelanalysen eigenen sich deshalb nicht zur toxikologischen Bewertung einer Quecksilberbelastung (40).



Komplementärmedizinische Testverfahren



Obwohl im Zusammenhang mit der Überprüfung zahnärztlicher Materialien eine nahezu unübersehbare Zahl von komplementär-medizinischen Methoden angepriesen wird, hat noch kein Verfahren ein Stadium erreicht, das nachvollziehbare und nachkontrollierbare Ergebnisse belegen könnte. Aus diesem Grund sind diese Methoden bis heute nicht allgemein anerkannt. Besondere Zurückhaltung ist bei umstrittenen Verfahren wie Elektroakupunktur nach Voll (EAV), Vega-Test, Bioresonanzverfahren und Kinesiologie geboten (43, 44,45). Unter dem Stichwort der Therapiefreiheit werden solche Messverfahren, die dem Anwender aufgrund fehlender Instrumente der Qualitätssicherung einen großen Spielraum einräumen, von einigen Ärzten, Zahnärzten und Heilpraktikern propagiert. Sie bilden die argumentative Grundlage für umstrittene „Entgiftungs- oder Ausleitungsbehandlungen" , Austauschprozeduren von Zahnrestaurationen, Extraktion angeblich belasteter Zähne oder gar Ausfräsungen von Kieferknochen.

Nicht selten werden dadurch große Schäden angerichtet und nachfolgend umfangreiche spätreparative zahnärztliche Rekonstruktionen erforderlich. Um hier künftig eine bessere Schadensbegrenzung zu erwirken, sollten die Folgeschäden nach komplementärmedizinisch motivierten zahnärztlichen Eingriffen den ärztlichen Anwendern derartiger Verfahren mehr als bisher transparent gemacht werden. Zumindest auf regionaler Ebene lassen sich Vereinbarungen treffen, die dazu beitragen können, den Patientenschutz zu fördern (Textkasten).





Abbildung 1 e: Sukzessiv erfolgte Extraktion sämtlicher Zähne (mit Ausnahme von fünf Unterkiefer-Frontzähnen), ohne Besserung des Beschwerdebildes.






Therapeutische Maßnahmen


Lokale, objektivierbare Störungen


Falls zahnärztliche Restaurationen Qualitätsmängel aufweisen (zum Beispiel okklusale Interferenzen mit entsprechenden Funktions-störungen, überstehende Ränder oder Randdefekte als Plaqueretentionsstellen) können diese oftmals durch gezielte Maßnahmen der Formkorrektur und Politur behoben werden. Besonders bei Restaurationen, die schon seit mehreren Jahren ohne Probleme inkorporiert sind, ist dem Belassen gegenüber dem Entfernen beziehungsweise Austauschen nach Möglichkeit der Vorzug zu geben.


Bei ausgeprägten, nicht korrigierbaren Mängeln (zum Beispiel Füllungsfrakturen) ist allerdings aus zahnärztlichen Gründen eine Entfernung der Restaurationen erforderlich. Auch bei Mundschleimhautveränderungen (zum Beispiel Allergien, lichenoiden Reaktionen), die in einem topographischen oder zeitlichen Zusammenhang mit zahnärztlichen Versorgungen stehen, kann eine Entfernung von Restaurationen indiziert sein.


Speziell bei der Entfernung von Amalgamfüllungen wurde auf die Gefahr einer zusätzlichen Quecksilberbelastung hingewiesen.


Hierzu ist festzustellen, dass bei Einhaltung der üblichen Vorsichtsmaßnahmen (Verwendung geeigneter, intakter Instrumente, geringer Anpressdruck, Wasserkühlung, Absaugung) beim Herausnehmen der Füllungen nicht mit einer klinisch relevanten gesundheitlichen Belastung des Patienten zu rechnen ist (3).


Die vor allem von Vertretern der Komplementärmedizin gelegentlich zusätzlich angewandten Maßnahmen (Sauerstoffgabe, diverse „Entgiftungs- oder Bindemittel") sind toxikologisch nicht begründet. Die Isolierung des Arbeitsfeldes mit Spanngummi (Kofferdam) kann aus zahnärztlichen Gründen geboten sein. Auch im Fall einer nachgewiesenen Allergie kann dadurch eine zusätzliche Verminderung der Exposition erreicht werden. Vom toxikologischen Standpunkt aus betrachtet ist eine Verwendung von Kofferdam allerdings nicht zwingend erforderlich (8, 27).


Die Behandlung lokaler, objektivierbarer Symptome (zum Beispiel Funktionsstörungen oder Mundschleimhautveränderungen) gestaltet sich durch die Behebung der jeweiligen Ursache im Allgemeinen problemlos.


Unspezifische Symptome


Eine große Herausforderung stellt die adäquate Behandlung von Patienten dar, die unspezifische Symptome (zum Beispiel Unwohlsein, Mattigkeit, Kopfschmerzen, Mundbrennen, Kloßgefühl, Würgereiz) auf ihre zahnärztlichen Restaurationen zurückführen und von einer Vergiftung von vornherein fest überzeugt sind.

Einige Patienten fordern vom Arzt oder Zahnarzt eine Bestätigung dieser Vorstellung und stehen weiteren differenzialdianostischen Überlegungen zuweilen sehr skeptisch gegenüber. Insbesondere die Einbeziehung psychosomatischer Aspekte in das Krankheitsbild wird nicht selten drastisch abgewehrt. Allein der Vorschlag einer entspre­chenden Abklärung wird mitunter als Stigmatisierung empfunden und kann zum Arzt- beziehungsweise Zahnarztwechsel führen. Oftmals suchen die Patienten eine Vielzahl von Vertretern verschiedenster Heilberufe auf, bis sie schließlich die erwartete Bestätigung ihrer Vergiftungsvorstellungen finden, meist auf der Grundlage umstrittener Testmethoden.


Dieser Weg kann für die Betroffenen zu schweren Gebissschädigungen führen, wie das Beispiel einer 54-jährigen Patientin verdeutlicht (Abbildung 1 a-f). Die betroffene Patientin war seit vielen Jahren zahnärztlich weitgehend problemlos versorgt worden. Nach einem Umzug in eine andere Stadt wechselte die Patientin mehrfach den Zahnarzt. Ohne zwingende Notwendigkeit wurde eine neue prothetische Versorgung vorgenommen. Die Neuversorgung wurde von der Patientin, die sich aufgrund erheblicher beruflicher Belastungen (schlechte Bedingungen am neuen Arbeitsplatz) und familiärer Probleme (Suizid des Lebenspartners) in einer existenziellen Lebenskrise befand und erhebliche Alkoholprobleme entwickelte, schlecht adaptiert. Die Patientin klagte über ein hartnäckiges Mundbrennen, das vom Gaumen bis zum Sternum ausstrahlte. Mehrere Zahnärzte und Ärzte konnten keinen plausiblen Zusammenhang zwischen dem Mundbrennen und der zahnärztlichen Versorgung herstellen. Nach einer umfangreichen Ausschlussdiagnostik wurde die Diagnose „atypischer Gesichtsschmerz mit Burning-Mouth-Syndrom" gestellt.


Ein komplementärmedizinisch orientierter Zahnarzt nahm diverse „bioenergetische" Testverfahren vor, unter anderem die so genannte Elektroakupunktur nach Voll (EAV) und führte aufgrund der Testergebnisse das Mundbrennen der Patientin auf eine Unverträglichkeit gegenüber Dentalmaterialien zurück. Trotz weitgehend unauffälligen zahnärztlichen Befunden empfahl er nicht nur die gesamte Entfernung des vorhandenen Zahnersatzes, sondern auch die Extraktion einiger angeblich „belasteter" Zähne. Allerdings änderte sich dadurch die klinische Symptomatik ebensowenig wie durch die Einnahme einer Vielzahl von Medikamenten (unter anderem Homöopathika, Bach-Blüten, Selen-Präparate). Auch die - mehrfach wiederholte - zahnärztliche Neuversorgung mit Materialien, die mittels umstrittener „bioenergetischer" Methoden (Kinesiologie, Bioresonanz und andere) „ausgetestet" worden waren, führte nicht zur Schmerz-linderung. Obwohl durch mehrere Ärzte und Zahnärzte vor weiteren Zahnextraktionen dringend gewarnt wurde, wurde von komplementär-medizinischer Seite die Vermutung einer toxischen Belastung („Restvergiftung") aufrechterhalten.


Die komplementärmedizinischen Diagnosemethoden wirkten im Sinne von Nocebo-Effekten und fixierten eine somatoforme Störung. Aufgrund befürchteter, nicht näher definierter „Belastungen" wurden von einem komplementärmedizinisch orientierten Zahnarzt sukzessive sämtliche Zähne (mit Ausnahme von fünf Unterkiefer-Frontzähnen) extrahiert, ohne dass sich das Beschwerdebild entscheidend verändert hätte.








Abbildung 1 f: Ausgeprägte, iatrogen verursachte Gebissdestruktion, die eine suffiziente zahnärztliche Versorgung (Prothesenintoleranz) erheblich erschwert und die psychosoziale Lage der Patientin weiter belastet.











Erst nach einem erfolgreichen Alkoholentzug und einer Verbesserung der äußeren Lebensverhältnisse gelang es der Patientin, das nach wie vor bestehende Mundbrennen einigermaßen zu tolerieren.


Wie dieses Beispiel zeigt, werden je nach Aggressivität der Behandler nicht nur intakte zahnärztliche Restaurationen entfernt, sondern auch erhaltungsfähige Zähne extrahiert und sogar vermeintlich vergiftete Kieferknochen ausgefräst.


Wenn Arzt und Patient von einer Vergiftung im Sinne eines Nocebo-Effekts überzeugt sind, können derartige „Sanierungen" zu einer subjektiv empfundenen Entlastung führen und zwar auch dann, wenn davon auszugehen ist, dass keine analytisch fassbare Intoxikation vorlag. Vielfach klagen die Patienten aber auch nach vollständiger Entfernung ihrer Restaurationen und weiterführenden Eingriffen über anhaltende Befindlichkeitsstörungen. Diese werden dann von den Behandlern unter anderem als „Restvergiftung" interpretiert. Durch umstrittene medikamentöse „Entgiftungs- und Ausleitungsbehandlungen" werden die betroffenen Patienten in solchen Fällen zum Teil jahrelang an entsprechende Behandler gebunden, was zu einer iatrogenen Verstärkung und Fixierung einer somatoformen Störung führen kann.


Deshalb kommt dem Zahnarzt bei der Erstberatung seiner Patienten eine außerordentlich große Verantwortung zu. Obwohl die frühzeitige Einbeziehung eines psychosomatischen Konsils sinnvoll wäre, verbietet sich dies häufig aus den oben genannten Gründen. Nach einer eingehenden Befragung und Untersuchung des Patienten kann es aber trotzdem sinnvoll sein, die Beschwerden des Patienten anhand eines psychodiagnostischen Testverfahrens zu dokumentieren, um damit eine objektivierbare Basis für spätere Abklärungen zu schaffen. Zunächst erscheint es jedoch vorteilhafter, ein vorwiegend lokalisiertes zahnärztliches Problem anzugehen.


Da viele der betroffenen Patienten plaqueassoziierte, entzündliche Parodontopathien aufweisen, bietet sich hierbei zum Beispiel eine bedarfsgerechte parodontale Initialbehandlung an. Dabei erhält der Patient in mehreren Sitzungen ein Mundhygiene-Intensivtraining, das mit professionellen Zahnreinigungen und weiteren parodontalen Maßnahmen kombiniert wird. Dabei soll dem Patienten seine anfängliche Gebisssituation deutlich vor Augen geführt werden. Dem Patient wird das Bluten der Gingiva nach Sondieren gezeigt oder es wird ihm die Entfernung der meist übelriechenden interdentalen Beläge demonstriert. Der Sinn der parodontalen Initialbehandlung liegt zunächst in einer Beseitigung der Entzündungserscheinungen des marginalen Parodonts. Der Patient muss aktiv dazu beitragen, eine für ihn spür- und sichtbare Verbesserung zu erzielen. In aller Regel kommt es bei entsprechender Mitarbeit des Patienten innerhalb weniger Wochen zu einem deutlichen Rückgang der entzündlichen Veränderungen (vor allem der Blutung, Schwellung und Rötung). Damit lässt sich gleichzeitig eine allergische Ursache der Entzündungsreaktionen ausschließen, sodass durch das Verschwinden solcher Mund-schleimhautveränderungen unnötige allergologische Testungen vermieden werden können.


Durch die aktive und passive Entfernung der fötid riechenden Beläge erhält der Patient zudem ein neues, für ihn attraktives Hygiene-bewusstsein (verbesserte Ästhetik, weniger Mundgeruch, frischerer Atem). Man erzielt dadurch auch einen verbesserten Ausgangs-zustand für die zahnärztlich-restaurative Situation. Ein weiterer Effekt der Initialbehandlung liegt darin, einen besseren Zugang zu dem Patienten mit der Schaffung eines persönlichen Kontakt- und Vertrauensverhältnisses zu finden. Auf diese Weise steht nach einigen Sitzungen die anfänglich stark dominierende Vergiftungsvorstellung nicht mehr allein im Vordergrund. Falls der Patient regelmäßig einen Arzt seines Vertrauens aufsucht, kann eine solche Vorgehensweise durch persönliche Rücksprache des Zahnarzts mit dem ärztlichen Kolle-gen sehr wirksam unterstützt werden. Erst dann, wenn ein Vertrauensverhältnis geschaffen werden konnte und eine zahnärztliche Intervention erste Erfolge gezeigt hat, erscheint es erfolgversprechend, das Thema einer weiterführenden Abklärung der Beschwerden einschließlich einer eventuellen psychosomatischen Begleittherapie in geeigneter Form zu erörtern. Dazu kann die individuelle Besprechung der psychodiagnostischen Testergebnisse hilfreich sein.


Oftmals ist es schon als Erfolg zu werten, wenn es gelingt, den Patienten aus dem komplementärmedizinischen Circulus vitiosus herauszuführen und weitere Extraktionen erhaltungsfähiger und unter Umständen für die Gebissfunktion strategisch wichtiger Zähne zu vermeiden.


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Zitierweise dieses Beitrags und Quelle: Dt Ärztebl 2000; 97: A 3344-3351 [Heft 49]


Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Hans Jörg Staehle Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Mund-, Zahn und Kieferklinik des Universitätsklinikums Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg